Buchwertbingo oder Boulevardbelebung
& die Rache an Eschborn


Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei den Planungen für das Europaviertel weit auseinander. Die Werbebroschüren der Entwickler versprachen ein Urban Entertainment Center mit 270.000 qm Geschossfläche inklusive eines Musicalhauses und riesiger Büro- und Shopping-Zonen, 1,5 Mio qm BGF in den angrenzenden neu zu schaffenden Stadtteilen für 4.000 Einwohner und 30.000 neuer Arbeitsplätze. Außer eines neuen Boulevards jedoch, der für 42.000 PKW pro Tag ausgelegt ist, momentan aber allenfalls als Schleichweg zur Umgehung der Theodor-Heuss-Allee genutzt wird, liegen die ausgedehnten Lehmflächen zwischen Messe und Gallus, zwischen Westend und Autobahn seit nunmehr fast zehn Jahren brach.
Weitgehend unsichtbar für die Öffentlichkeit wurden die ehemaligen Bahnflächen entwidmet und in "Bauerwartungsland" verwandelt. Es wurden Bebauungspläne aufgestellt, die die aus der Wachstumseuphorie der 90er Jahre resultierenden Entwicklungsszenarien der Bodeneigentümer in geltendes Planungsrecht überführen. Die Nutzungsmöglichkeiten für das Gebiet ("Art und Maß der baulichen Nutzung”) sind damit für die nächsten Jahrzehnte festgeschrieben. An diese Festsetzungen sind die Renditeerwartungen der Eigentümer und der Stadt - völlig unabhängig von den realen Bedingungen - gekoppelt. Sie schlagen sich als sogenannter “Buchwert” in den Kalkulationen zukünftiger Investoren nieder.
Bleiben der versprochene Nutzungs- und Verwertungsdruck aus, oder können sinnvolle Nutzungen den einmal festgesetzten Buchwert nicht erwirtschaften, bleibt das Gelände leer.Die Entwicklung ist langfristig blockiert. Die Blockade der städtebaulichen Entwicklung durch das Festschreiben eines fiktiven Immobilienwertes, unterstützt durch Hochglanzbroschüren und Planungsrecht, muss kritisch hinterfragt werden!
Impulse für die Nutzung und Entwicklung können aus den angrenzenden Stadtvierteln wie auch aus der Region kommen. Möglicherweise entwickelt sich das zukünftige Europaviertel von der Autobahn her und bezieht seine Dynamik durch den benachbarten Flughafen. Oder die Stadt Frankfurt übt Rache an Eschborn durch das Absenken des Gewerbesteuer-Hebesatzes oder das Ausweisen einer Sonderwirtschaftszone…
Wenn die leergeräumten Flächen innerhalb weniger Jahre von den Eigentümern nicht bebaut werden, so müssen Planungsrecht und Buchwert angepasst werden, gegebenenfalls durch ein schrittweises Downgrading. Auf Nutzungsbedürfnisse muss flexibel reagiert werden. Das jetzige Entwicklungsszenario für das Europaviertel wäre dann nur noch eines von vielen möglichen, die auch aufeinander folgen, sich ablösen oder durchmischen und befruchten können.
Wie schnell sich Dinge verändern können zu einem Zustand, mit dem keiner je gerechnet, oder es zumindest sich nie auszusprechen getraut hätte, zeigt ein Ereignis aus den 70er Jahren: die autofreien Wochenenden aufgrund der Ölkrise.Wir schnallten uns Rollschuhe unter, erlebten die Autobahn auf neue Weise und entwickelten unsere eigene Version von freier Fahrt für freie Bürger.
 
 
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Evangelische Stadtakademie Frankfurt, Kontext Architektur