Methode Architektur
| Off-Architektur
Als archplus im Oktober 2003 mit den beiden Ausgaben Off-Architektur, archplus
166 Szenen und archplus 167 Netzwerke, den Versuch unternahm, ein neues Selbstverständnis
der jungen Architektengeneration zur Debatte zu stellen, wurde bewußt
auf den deutschen Kontext fokussiert. Denn aufgrund der spezifisch deutschen
Strukturprobleme mit einer seit gut einem Jahrzehnt lahmenden Baukonjunktur
sowie einem im weltweiten Vergleich einmaligen Überschuß an ausgebildeten
Architekten, läßt sich der Entwicklungszustand dieser Generation
am besten beschreiben.
Ausdrücklich offensiv formuliert der vorgeschlagene Begriff ‘Off-Architektur‘
eine erweiterte architektonische Praxis, die in der ökonomischen Misere,
die weder zu bestreiten noch zu beschönigen gilt, eine Freiheit sieht,
die nach Spinoza bekanntlich "Einsicht in die Notwendigkeit" ist.
architektonische Praxis nach den vielen Ismen und
dem Heilsversprechen im 20. Jahrhundert heute zu nehmen scheint. "Soziale,
technische, ökonomische, psychische organisation" hat eine enorm
politische Implikation und muß nicht unbedingt in einem gebauten Objekt
münden. Vielmehr müßte es heute darum gehen, das "architektonische
Denken" selbst (Rem Koolhaas) bzw. die 'Methode Architektur' auf andere
Bereiche auszuweiten und anzuwenden. Es geht hierbei ausdrücklich nicht
um subkulturellen Habitus des Offs, erwachsen aus der ökonomischen Misere,
sondern um eine offensive Erweiterung des Tätigkeitsfeldes des Architekten,
die durchaus durch eine Zwangslage induziert sein kann.
Als ein Beispiel für diese zukünftige Entwicklung
hin zu einer kommunikativen Architekturauffassung könnte hier die Entwicklung
von OMA/AMO aufgeführt werden:
Kein anderes zeitgenössisches Büro praktiziert
dies konsequenter und erfolgreicher, wobei die spiegelbildliche Konstruktion
AMO genau dieses "architektonische Denken" bzw. diese architektonische
Methode als Dienstleistung anbietet: von Unternehmungsberatung, über
politische Beratung hin
zu Modenschauen u.v.m. Es geht darum, das Büro als Forschungseinrichtung zu begreifen, welches aus einer spezifisch architektonischen Herangehensweise heraus an vorderste Front der zeitgenössischen Kultur arbeitet. Und dennoch hat OMA seitdem mehr gebaut als je zu vor. Daß AMO eine "Expansion" und kein Ausweichmanöver darstellt, wie Bill Millard es in einem Artikel für die kommende archplus 173 OMAMO beschreibt, ist bezeichnend. Bezeichnend ist auch die Tatsache, daß die Gründung dieser Expansion zeitlich mit dem Scheitern des, für das Büro Ende der 1990er Jahre wichtigen, Projekts Universal Headquarters zusammenfiel. Ist es vielleicht kein Zufall, daß Spinoza und Koolhaas beide Holländer sind? Wie schon Eingangs erwähnt, kann nach Spinoza wirkliche Freiheit nur aus der "Einsicht in die Notwendigkeit" entstehen – diese Einsicht kommt mitunter sehr schmerzhaft.
Off-Architektur
Die These der beiden erwähnten archplus Themenhefte war, daß die
junge Generation diese Praxis bereits betreibt –bewußt oder unbewußt
–, ohne sie jedoch inhaltlich und methodisch präzisiert zu haben.
Viel zu oft wird diese Praxis ex negativo als Folge der wirtschaftlichen Situation
begriffen: "Wir wollen aber on sein, nicht off!" war einer der häufigen
Erwiderungen. Off-Architektur versucht die Argumentation umzukehren, um Perspektiven
aufzuzeigen. Die Unsicherheit ist verständlicherweise groß und
nur wenige stellen sich konsequent der notwendigen Veränderungen. Dennoch
ist eines klar: Die Sicherheit, über Stile und Ismen zu diskutieren,
über eine "richtige Architektur", wie dies im Beitrag von Jan
Tabor zur tschechischen Etappe von Wonderland anklingt, scheint angesichts
solcher Veränderungen in dieser Generation bereits lange obsolet.
Off-Architektur meint auch die Chance, aus dem Off
den seit einem Jahrhundert immer wieder formulierten Anspruch, die Architektur
gesellschaftlich und politisch zu betreiben, in die Praxis umzusetzen –
aus dem Off den
ausführlich dargelegt und damit auch ihre Fähigkeit,
zu polemisieren, unter Beweis gestellt. Eine essentielle Fähigkeit, die
nur noch sehr selten anzutreffen ist, die jedoch den Diskurs lebendig hält
und vorwärts treibt.
Eine Gemeinsamkeit ist auch die Arbeitsstruktur und
–methodik: "Off-Architektur bezeichnet eine neue Art von Netzwerkkultur.
Von Hamburg bis Leipzig, von Köln bis Berlin schließen sich immer
mehr Gruppen zusammen, die sich meist als 'lose Arbeitsgemeinschaften' sehen.
Gleichzeitig bilden sich in den Städten Szenen: Eine kritische Masse
an Architekten tauscht sich aus, tritt in die Öffentlichkeit, arbeitet
vernetzt." Diese Beschreibung aus dem Editorial von archplus 166 trifft
insbesondere auf OSA und blauraum zu, ist aber ebenso zutreffend für
viele andere Teams. So beschreibt sich Mr. Fung selbst als Team, das die Disziplingrenzen
bewußt überschreitet und den Blick von außen kultiviert.
Bereits der Name Mr. Fung spielt mit dem Verweis auf die Popkultur; er klingt
eher wie ein Musiklabel denn als ein ernstes Planungsbüro. Die Hemmschwelle
wird somit bewußt für das nicht-professionelle Publikum niedrig
gehalten. Auch das Merchandising von Mr. Fung T-Shirts via ihre Homepage ist
ein solches Spiel mit den
ausstellungsraum
beckefeld + huneck
trümpler
appl
beckefeld
langbein + huneck
grillitsch, peanutz
die Perspektive eines Großbüros ist, sondern in nuce auch in den Praxen und Praktiken vieler der hier vorgestellten kleinen Büros zu finden ist. Dies ist das 'On' der vorgestellten Praxen, die nicht nur im ökonomischen Off beginnen und dort enden. Ansätze sind überall erkennbar, sie bedürfen aber einer bewußten Reflexion und Präzisierung. Hierin sieht archplus eine Perspektive, um die häufig anzutreffende Theorieblindheit zu überwinden und Wege zu sich selbst zu finden. Die Büros sollten dafür als Laboratorium, als Forschungsstation begriffen werden, um die 'Methode Architektur' weiterzuentwickeln.
Büroplus, Entwurfplus,
Architekturplus
Es ist vielleicht diese Generation, die zum ersten Mal die Begriffe Konsum
und Medien nicht mehr bloß als Schlagworte begreift, sondern ein adäquates
Verständnis dafür entwickelt hat, um adäquate Antworten –
nicht wiederum nur Bilder – für die Massengesellschaft zu finden.
"Ansätze eines Generationswechsels zeichnen
sich ab. Er äußert sich zuerst und vor allem in der Frage des Berufsprofils
und in der Frage, in welcher Form die Kommunikationsbedürfnisse der Massengesellschaften
aufzugreifen sind. Und in Frage steht die Berufsperspektive von Architekten:
Wird sich der Architekt zum Kommunikator und Mediator fortentwickeln, um den
Kommunikationsanforderungen der entwickelten Massengesellschaften zu genügen,
oder wird er der alte Generalist bleiben, der sich angesichts dieser Entwicklungen
nur noch eine Windung weiter in sein Schneckenhaus zurückzieht. Die Frage
der kommunikativen Kompetenz ist die erste Zäsur:
Die kommunikative Kompetenz beginnt im Kleinen. Büro
ist nicht mehr das klassische Büro. Büro ist
Ausstellungsraum, Diskussionsplattform, Bar. Büroplus.
Sie setzt sich fort mit dem Entwurf. Entwurf ist
nicht mehr der klassische Entwurf. Entwurf ist kommunikativ, situativ und
temporär. Entwurfplus.
Und sie endet nicht mit der Architektur. Architektur
ist nicht mehr die klassische Architektur. Architektur ist kommunikative Architektur:
Architekturplus. archplus.
Dieses Plusmoment eröffnet Perspektiven. Sie
einzulösen wird Aufgabe der kommenden Debatten und Praxen sein."
(archplus 166)
Anh-Linh Ngo
Anh-Linh Ngo ist Redakteur der Zeitschrift archplus und Gründungsmitglied
von "MethodeArchitektur" (Berlin/Mailand)
Der Beitrag zitiert aus dem Editorial von archplus 166, Nikolaus Kuhnert,
Susanne Schindler, Off-Architektur, S. 14 ff.; archplus 166 und 167, Off-Architektur
1 und 2, Szenen und Netzwerke, Oktober 2003
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