Darmstädter Echo, 23.10.2000

Visuelle Streicheleinheiten im Tunnel
„3ZKB“ in der Fußgängerunterführung: Nach der Auszugsparty ab Montag verhüllt

 

(lex). Eigenartig: Souterrain in bester Innenstadtlage, drei Zimmer, modern teilmöbliert, eine mit Grundnahrungsmitteln ausgestattete Küche, ein sauberes Bad, all dies auch noch mietfrei – und dennoch ist keiner eingezogen. Vielleicht lag’s daran, dass alle Nase lang ein Fremder durch den geräumigen Flur huschte. Oder an dem mangelnden Licht da unten im Fußgängertunnel.

Zehn Wochen stand die Dreizimmerwohnung in der Unterführung Hügelstraße leer. Dass am Samstag die „Auszugsparty“ gefeiert wurde, liegt daran, dass dort irgendwie doch einer lebte – ein imaginärer Bewohner. Er ging zwar nie ans Telefon, lud aber zum Grillfest oder zum Videoabend ein oder bot bei einem Kaffeekränzchen zwischen Plüschsofas und Spitzendeckchen Waffeln an. „Da hat die ganze Unterführung wunderbar geduftet, was sie ja sonst nicht getan hat“, sagt Anja Ohliger von der Gruppe „osa“, die sich das Projekt ausgedacht hat. „3ZKB“, eingerichtet in den geräumigen Schaukästen der Fußgängerunterführung Ecke Schützenstraße, gesponsert unter anderem von der Stadt – jedoch nicht vom Amt für Wohnungswesen, sondern aus dem Kulturetat.

Denn das, was da wochenlang beim Betreten des ansonsten ungemütlichen Betontunnels auf die Passanten wartete, war zunächst einmal eine künstlerisch gestaltete Ausstellung junger Architekten und Stadtplaner. Ihr Anspruch: ein desolates Stück Stadt aufwerten und dabei unkonventionell ans Werk gehen. Ein Ansatz, der den Betrachtern zu gefallen schien, so das Fazit der Macher am Samstag. „Immer, wenn wir mal da waren, haben wir eine super Resonanz bekommen“, freute sich Anja Ohliger. Selbst die Graffiti-Sprayer zollten dem Projekt Respekt, indem sie die Finger davon ließen. „Manche Leute haben sich regelrecht bedankt“, berichtet Oliver Langbein.Verständlich: stach ihnen doch nicht Gestank in die Nase, sondern etwas Ansehnliches ins Auge.

Am Samstag gab es auch noch was für die Ohren. Wer die Treppe hinunter und durch den zerschnittenen Vorhang trat, landete in einer mit Musik des DJs „Stereofreund“ erfüllten Bar, in der es nach Glühwein duftete. „Sinnlich zerhackt“ ging es dagegen bei der Video-Performance des Frankfurter Musikers und Video-Künstlers „ÜNN“ alias Frank Rückert zu. Der junge Mann saß im Arbeitszimmer, von wo aus er „3-ZKB“-Impressionen über die Computertastatur fragmentarisch zu Musik über Bildschirme schickte. Samstagabend-Fernsehprogramm mal anders.

Die visuellen Streicheleinheiten im Fußgängertunnel haben nun vorläufig ein Ende. „Wir können das nicht ewig weitermachen“, sagt Oliver Langbein, „weil auch wir morgen noch kraftvoll zubeißen wollen.“ Anders ausgedrückt: Das junge Büro kostet das Projekt unbezahlte Arbeitszeit. Eine Investition, die sich die professionell arbeitende Gruppe auf Dauer nicht leisten kann.

Die Abrissbirne wurde aber noch nicht bestellt. Stattdessen präsentiert sich die Dreizimmerwohnung ab heute verhüllt. Ähnlich dem Motto des Künstlers Christo: etwas verhüllen, um darauf aufmerksam zu machen. Verbunden ist dies mit dem Aufruf, „dass Leute mit Ideen kommen, um was Neues zu machen“, so Anja Ohliger. Willkommen seien auch Geldgeber, die den Fortbestand des unkonventionellen Ausstellungsraums finanzieren würden. (Kontakt: Telefon 876405).

Wenn nichts dergleichen passiert, würde die Unterführung wieder ihrem ureigenen Schicksal überlassen. Was nach Meinung Anja Ohligers vor allem bedeute: „Der Prozess der Verwahrlosung eskaliert dann wieder.“

Alexandra Welsch 22.10.2000

SCHAFFEN IM SCHAUKASTEN: Der Video-Künstler „ÜNN“ bei der Performance im Arbeitszimmer der Installation „3ZKB“. (Foto: jüs)
Darmstädter Echo, 23.10.2000