Darmstädter Echo, 4.8.2000

Ein weiches Bett im dunklen Betontunnel

Mehr als ein Gag: Die Gruppe „osa“ macht eine Unterführung zur Dreizimmerwohnung

 

Jeden Tag um halb neun klingelt ab Morgen in der stinkigen Unterführung der Hügelstraße der schrille Wecker. Vermutlich eine Stunde lang, weil niemand auf die Stopptaste haut. Wer will dort schon wohnen? Trotzdem backt in der Küche gegenüber ein Brot vor sich hin, läuft im Bad fluoreszierendes Wasser durch Schläuche – und wenn jemand anruft, klingelt im Arbeitszimmer sogar das Telefon. Nur drangehen wird keiner, außer dem Anrufbeantworter. Willkommen in der modernen Zivilgesellschaft.

Ein Abstieg, der überrascht: Die Fußgänger, die sonst möglichst schnell durch den dunklen, ungemütlichen Betontunnel an der Ecke Schützenstraße laufen, werden ihr wohnliches Wunder erleben. Doch zuvor heißt es am Eingang: Bitte Füße abtreten!

„3ZKB“ nennt sich die Installation der Gruppe „osa“ („office for subversive architecture“), einer offenen Arbeitsgemeinschaft junger Stadtplaner und Architekten. Seit zwei Wochen sind die jungen Männer und Frauen von früh bis spät in der Unterführung zu Gange. Dabei herausgekommen ist eine 16 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung, Souterrain in bester Innenstadtlage, verteilt auf parzellenartige Schaukästen. Wohnungseinweihung ist am Freitagabend um 19 Uhr.

Die 24-Stunden-Ausstellung, die einem schäbigen Stück Darmstadt in dem kommenden acht Wochen ein ästhetisch wie funktional anderes Gesicht gibt, ist mehr als ein guter Gag. „Im Vordergrund ist es ein Bild, was Wohnen beschreibt“, sagt Anja Ohliger und erklärt auch, welche Wohnform dort zur Schau gestellt wird: „Ein minimiertes, aufs Elementare reduziertes Wohnen.“ Entsprechend reduziert sich das Mobiliar des Wohnzimmers auf eine orangene Liege und einen TV nebst CD-Player. Klarer Fall von „man liegt in ’ner Röhre und guckt in ’ne Röhre“.

Dabei geht es den jungen Machern von „osa“ nicht darum, den ästhetischen Zeigefinger zu heben und Wohnkulturkritik zu üben. „Wir wollen nicht geschmäcklerisch sein“, betont Bernd Trümpler. „Es ist nur ein Diskussionsbeitrag“, ergänzt Anja Ohliger. Ein Forum soll es sein, über das die Betrachter ins Gespräch kommen.

Oder sogar noch mehr als das: am Geschehen teilnehmen. Denn: „Es ist uns wichtig, dass eine Interaktion stattfindet zwischen den Kästen und den Passanten.“ Und angesichts der professionellen Gestaltung – finanziell unterstützt unter anderem von der Stadt Darmstadt, für die Gruppe dennoch ein Verlustgeschäft – ist es nicht sonderlich schwer, auf Gedanken zu kommen. Da werden ganz schön Impulse gesetzt. Dass etwa die Küche zum großen Teil aus Mülleimern besteht, verweist nicht zuletzt auf die Vermüllung des Alltags.

Und auch im Arbeitszimmer wird die Jetzt-Zeit thematisiert: Globale Vernetzung steht dort an, wo sich Steckdose an Steckdose reiht und die „Sieben Länder“-Pralinenpackung zum Laptop avanciert.

Wie die jungen Architekten, die sich beim Studium im Darmstadt kennen lernten, sagen, war es kein Problem, die ungewöhnliche Ausstellungsfläche gestellt zu bekommen. Im Gegenteil: „Wir haben da offene Türen eingerannt.“ Der Ist-Zustand der vergammelten Unterführung, die dringender Fürsorge bedürfe, sei auch der Stadt Darmstadt nicht recht. Außerdem wurde so mal wieder kräftig reine gemacht. „Und das war nicht besonders lecker“, versichert Britta Eiermann.

Schmecken lassen dagegen kann man sich etwa das in der „3ZKB“ geplante Kaffeekränzchen. Und am Freitagabend gibt’s dort Brezeln und Wein.

Alexandra Welsch 3.8.2000

WOHNEN IN DER UNTERFÜHRUNG: Darin übt sich Nadine Conradi (10), die zufällig durch den Fußgängertunnel an der Ecke Hügel- und Schützenstraße kam und spontan ins Arbeitszimmer stieg. Es ist Teil der von jungen Architekten eingerichteten Dreizimmerwohnung, die heute Abend offiziell eingeweiht und dann für acht Wochen ausgestellt wird. (Fotos: Roman Größer)
Darmstädter Echo, 4.8.2000