Die Kunst des Saubermachens
Installation: Ein herbeizitiertes Idyll überrascht die Passanten an einem der unwirtlichsten Orte Darmstadts


DARMSTADT. So freundlich sah es hier schon lange nicht mehr aus. Eigentlich gehört der Fußgängertunnel an der Schützenstraße nämlich zu den Ekelprüfungen in dieser Stadt. Er ist dunkel und schmutzig. Gitterkästen an der Decke schützen Neonröhren. In leeren Vitrinen stellt schon lange niemand mehr aus. Man kann auch nicht hineinschauen, weil Sprayer die Scheiben längst eingefärbt haben. Ein strenger Duft erinnert daran, dass Menschen hier drängenden Bedürfnissen nachkommen. Dort, wo die Schützenstraße unter dem Cityring durchtaucht, ist einer der widerlichsten Orte Darmstadts.
Das wissen auch die Architekten Anja Ohliger und Oliver Langbein sowie die Kunsthistorikerin und Kuratorin Sonja Müller. Alle drei sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der Technischen Universität, und sie haben das „f.o.g.“ begründet, ein Forum für öffentliche Gegenwartskultur. Dieses fachübergreifende TU-Projekt soll sich auf neue Weise der Beziehung von Kunst und öffentlichem Raum widmen. Am Freitagabend begann die erste Veranstaltungswoche just dort, wo der öffentlich Raum am ehesten der Zuwendung durch die Kunst bedarf.

Die Künstlerin Miriam Steinhauser hat für die Schützenstraßen-Passage eine Installation entworfen, die ebenso schlicht ist wie wirkungsvoll. In den leeren Vitrinen, deren Scheiben wieder freigelegt wurden, stehen starke Scheinwerfer. Die Helligkeit verändert den Charakter des Tunnels, man ist geneigt, die Staffelung der Schaukästen als kunstvolles Arrangement zu betrachten, und die Rahmen spiegeln sich in der großen Pfütze. Sie gehört zur zweiten Kunstinstallation, für die Nasan Tur aus Frankfurt verantwortlich ist. Mit Eimern hat er Wasser in die Tiefe geschleppt und unter dem Abflussdeckel eine elektrische Pumpe installiert. Jetzt sprudelt ein kleiner Springbrunnen, als schlummere in den Tiefen der Stadt ein Vorgarten-Idyll.

Beide Installationen durchkreuzen den Charakter des Ortes, den sie kommentierend verändern. Natürlich hätte auch die Stadt das Kunstwerk vollbringen und hier für Licht und Sauberkeit sorgen können. Aber sie tat es nicht in ausreichendem Maße, erst mit der Kunst zieht eine neue Atmosphäre ein. Und wahrscheinlich auch wieder aus, wenn das Projekt beendet wird. Immerhin ist seine Fortsetzung absehbar: Architekturstudenten werden in ihren Stegreifübungen die „Umnutzung städtischer Räume“ am Beispiel dieser Unterführung ausprobieren. Das könnte die Diskussion anregen und gleichzeitig dem Ort nutzen - so lange dort Kunst gemacht wird, ist der Trend zur weiteren Verwahrlosung jedenfalls erst einmal gebremst, hat Oliver Langbein beobachtet.

Sogar den Gestank hat die Kunst vertreiben können – die Initiatoren haben eben kräftig geschrubbt. Das sind gute Voraussetzungen für den nächsten Samstag (6.), an dem das Idyll unter Tage noch etwas heimeliger werden soll. Dann tritt von 11 bis 18 Uhr das Gießener Künstler-Duo Ingke Günther und Jörg Wagner an. Wichtigstes Werkzeug ihrer Aktionen ist ein Küchenherd. Die Darmstädter Aktion heißt „Picknick im Separée“, und wer durch die Passage läuft, bekommt auf Wunsch ein Spiegelei gebraten. Dieses Schlichtgericht ist für die Künstler nämlich nicht nur Nahrung, sondern zugleich ein Symbol mütterlicher Zuwendung.

Vielleicht wird ja der Duft die Menschen zum Stehenbleiben animieren. An der Vernissage eilten sie noch vorbei. Man ist halt gewohnt, diesen Ort möglichst schnell wieder zu verlassen. Ein wenig irritiert schauten manche Fußgänger schon auf die freundliche Versammlung flaschenbiertrinkender Menschen, die alle zu adrett aussahen, als dass man vermutet hätte, sie suchten an diesem tristen Ort ein Obdach für die Nacht. Alle machen einen Bogen um Nasan Turs Pfütze. Ein Passant aber versenkt eine glänzende Cent-Münze darin. So, als habe auch Darmstadt seinen Trevi-Brunnen bekommen.

Die Installation in der Unterführung Schützenstraße / Ecke Hügelstraße ist bis 6. November zu sehen. Am Dienstag (2.) veranstaltet das Forum für öffentliche Gegenwartskultur eine Reihe mit Vorträgen und Diskussionen. Zugesagt haben unter anderem Astrid Kiessling, die mit den Kunst- und Wissenschaftsaktivitäten der Dresdner Bank betraut ist, und die Kulturanthropologin Grit Weber. Die Veranstaltung im Fachbereich Architektur (Lichtwiese, El-Lissitzky-Straße 1) dauert von 16 bis 20 Uhr.


Johannes Breckner
1.11.2004