Darmstädter Echo 11.7.05
Flugzeuge als Festbeleuchtung
Nachtdeck: Mit Hilfe von 500 Quadratmetern Rollrasen
wird das Dach des Parkhauses im Bürgerparkviertel zur urbanen Clubzone
– Besucherzahl wesentlich höher als erwartet
DARMSTADT. Es sind Hunderte, die am Samstagabend den Rasen bevölkern. Viele
haben ihre Schuhe ausgezogen. Es duftet nach feuchtem Gras und Grillgut. Würstchen
brutzeln über glühenden Kohlen, der Qualm steigt in den Sommernachthimmel
empor, die Gespräche auch. Doch all dies passiert nicht in einem Park,
sondern auf einem Parkdeck.
Als gegen halbelf die Kuppel des Hundertwasserhauses grün angeleuchtet
wird, beginnt der extravagante Bau mit dem ungewohnt belebten Parkdeck gegenüber
farblich zu korrespondieren. Dort liegen grüne Lichtröhren im Gras,
haben sich die Besucher ebenso grüne Leuchtstäbchen ans Revers geheftet,
hinters Ohr geklemmt oder werfen sie verspielt durch die Luft. Das Konzept scheint
aufzugehen. „Hundertwasserinfektion“ nennen die Architekturstudenten
vom „Urban Monkey Project“ (UMP) das, was sich auf dem obersten
Deck des Parkhauses im Bürgerparkviertel abspielt. Hinter der Umwidmung
eines Parkdecks in einen begrünten Club unter freiem Himmel steckt die
städtebauliche Idee, einen neuen Blick auf das umliegende Darmstadt zu
werfen und dabei urbane Räume umzunutzen. Initiiert hat das die Centralstation
mit dem Hauptsponsor „TZ Rhein Main“ unter dem Titel „Nachtdeck
– Park’n’Bleib“ als Beitrag zur 675-Jahr-Feier der Stadt
Darmstadt.
Das Parkhaus im Bürgerparkviertel ist das erste von vieren, die an den kommenden Julisamstagen durch Studierende des TU-Fachbereichs Architektur neues Leben eingehaucht bekommen. Und das Leben tummelt sich beim Auftakt so zahlreich auf dem „Nachtdeck“, dass streckenweise immer mal wieder das Bier ausgeht. Mit höchstens 400 Besuchern haben die Veranstalter gerechnet, mehr als 1000 sind es geworden. Unter ihnen sind auch Sonja Hilge und Florian Steimle, die sich gerade eine Stunde lang Kurzfilme angeschaut haben. Zum Konzept gehören acht Fernseher, die auf dem Gras stehen und von Zuschauern umringt werden. „Es ist sehr cool hier, mal was ganz anderes“, findet Sonja, die das „extravagante Ambiente“ mag. „Das Konzept mit Kurzfilmen und Picknick im Freien ist gut“, lobt Florian, während er auf der Mattscheibe einer Familie bei der Fahrt in den Campingurlaub zusieht. Kichern. „Aber eine große Leinwand hätte ich besser gefunden.“
Die war ursprünglich auch geplant, entsprach aber letztlich nicht der Grundidee. „Wir wollten lieber mehrere dezentrale Orte“, sagt ein UMP-Macher, der sich als „Bonobo“ vorstellt und auf das Konzept der Parzellierung zu sprechen kommt. „Es gibt Grillradien und Fernsehradien, die ineinander übergehen.“ Der Rollrasen, der am nächsten Tag Kindergärten gespendet wird, soll dabei ein Erlebnis für den Tastsinn schaffen. „Orang-Utan“ erläutert: „Die Idee ist, dass die Leute die Schuhe ausziehen, dadurch geerdet und ein bisschen gleicher werden.“
Bei 500 Quadratmeter Rollrasenstücken für eine Gesamtfläche von 1500 Quadratmetern muss die Erdung dabei im hinteren Parkdeckbereich ohne Gras vollzogen werden. Dort haben Grüppchen ihre Decken auf dem blanken Beton ausgebreitet. Hier hört man von der leisen Clubmusik nichts mehr, doch sorgen die Lichter der Stadt für urbane Festbeleuchtung. Ganz abgesehen von dem Fingernagelmond und den Sternen. „Wir brauchen kein Diskolicht“, stellt ein junger Mann da fest. „Wir sind in der Nähe des Flughafens.“ In dem Zusammenhang lässt sich das wahrlich mal als positiv empfinden.
Das nächste „Nachtdeck“ ist am kommenden Samstag (16.) unter
dem Titel „Dimensionssprung“ im Parkhaus Zeppelinhalle, Landwehrstraße
52. Am Wochenende darauf (23.) heißt es „Pulsar“ im Parkhaus
an der Bahngalerie des Hauptbahnhofs, und zum Abschluss der städtebaulichen
Reihe laden die Veranstalter am letzten Julisamstag (30.) in das T-Online-Parkhaus
des „TZ Rhein-Main“. Beginn ist jeweils um 21 Uhr, der Eintritt
ist frei.
Alexandra Welsch
11.7.2005