F.A.Z.-Archiv
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Rhein-Main
Montag, 18. Juli 2005, Nr. 164 / Seite 49


Party hochoben auf dem Parkhaus: Autokinos haben ausgedient, Parkdeckkinos sind der neueste Trend.
Foto Marcus Kaufhold

Musik und Filme über den Dächern

Architekten der Technischen Universität machen Parkhäuser zu Erlebnisräumen

DARMSTADT. Grüne Wiesen in der tiefen Provinz, zugeparkt mit aufgemotzten Autos, in denen Pärchen kuscheln, für die der Film meist Nebensache ist – dieses fragwürdige Idyll von Autokinos gehört fast überall der Vergangenheit an. Auf dem Land sind die Zuschauer rar, und in den Zentren fehlt der Platz. Der neueste Trend sind Parkdeckkinos. Der Fachbereich Architektur der Technischen Universität reagiert mit der Reihe „Nachtdeck I–IV“ auf denWandel des urbanen Raums.Vier Parkhäuser in vier Quartieren, in denen sich städtebaulich einiges tut, werden mit Kurzfilmen bespielt und mit chilligen Klängen beschallt. Nebenbei wird der Blick auf Bürgerparkviertel, Weststadt oder das Technologiezentrum gelenkt. Der Bau des Wissenschafts- und Kongreßzentrums, die Umgestaltung des Hauptbahnhofs und der Weststadt mit Europaviertel und TZ Rhein- Main, dieser städtebauliche Umbruch ist für die Architekten Anlaß, die neu strukturierten Stadtteile vom Parkdeck aus zu inspizieren. Der Aufstieg ist mühsam, der Drehwurm ein notwendiges Übel. In die höchsten Höhen des Parkhauses geht es hinauf, auf dem sechsten Deck liegt die Endstation

Party. Das Parkhaus an der Landwehrstraße ist eine Art Parasit. In die vor 84 Jahren errichtete, denkmalgeschützte Zeppelinhalle ist das moderne Innenleben vor sechs Jahren hineingeschlüpft. Eine Art überdimensionale Garage zum Unterstellen haben die Architekten Fritsch & Schlüter 1999 errichtet. Die Betonkonstruktion fügt sich als grotesker Stilbruch in die Zeppelinhalle ein, deren expressionistische Fassade Jan Hubert Pinand 1923 neu gestaltete. Die Halle hat einen weitenWeg hinter sich. Ursprünglich in Ostpreußen errichtet, zog das Gebäude 1921 nach Darmstadt um und diente lange Zeit als Lager. Die industriell geprägte Umgebung der Weststadt erspähen die Partygäste durch die runden Hallenfenster: Schenck produziert gegenüber, Röhm ein paar Straßen weiter.
„Dimensionssprung“ haben Bettina Rohe und Orsolya Miklosi ihre Installation betitelt. Mit ihrem Konzept zur räumlichen Ausgestaltung des Parkhauses haben sich
die beiden Architekturstudentinnen in einem Wettbewerb durchgesetzt und sich intensiv mit der Architektur und dem städtischen Umfeld des Gebäudes beschäftigt. Dem ersten "Dimensionssprung“ von der alten Hülle zum modernen Inlet haben sie

einen weiteren zugefügt. Bequem sehen die orangefarbenen Ledersessel und die „Loveseats“ aus Plüsch vor der Leinwand aus. Doch wer sich hineinsetzt, landet ziemlich unsanft: Die durchnumerierten Sitzgelegenheiten sind nur auf das Parkdeck projiziert. Als Spiel zwischen Zwei- und Dreidimensionalität verstehen Rohe und Miklosi ihre Idee. Durchnumerierte Sitzkissen werden ausgegeben, die 500 Zuschauer folgen brav und suchen sich ihren Kinosessel auf dem Parkdeckboden. In einem Parkhaus im Bürgerparkviertel ließen sich Studenten eine Woche zuvor von der geschwungenen Formensprache von Friedensreich Hundertwassers nah gelegenerWaldspirale inspirieren, legten Rollrasen aus und verwandelten das Parkdeck in eine Grillwiese. „Einen anderen Umgang mit solchen Orten finden“ – das ist für Susanne Lehmann und Oliver Langbein, als Lehrbeauftragte am Fachbereich Architektur für die Koordination des Projekts zuständig, ein Aspekt der in Kooperation mit der Centralstation organisierten „Nachtdeck“-Reihe.
RAINERSCHULZE
     Nächsten Samstag laufen Musik und Kurzfilme auf dem Parkhaus an der Bahngalerie, am 30. Juli wird das T-Online-Parkhaus im TZ Rhein-Main bespielt.


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