DARMSTADT. Wenn ein Ortsfremder auf dem Campus der TU Darmstadt
nach dem Weg fragt, haben die Studenten ihren Spaß: "Hier entlang, da lang
oder nach dort", antworten sie. Und zeigen auf drei knallrote Pfeile auf dem
Betonsteinpflaster. Die Linien wandern über den Gehsteig, schlängeln sich
einen Pfad die Wiese hinauf. "Da" steht in zwei Meter hohen Lettern auf der
Betonfassade des Fachbereichs Maschinenbau. Angekommen.
Etwa 20 Studenten der Fachbereiche Architektur, Maschinenbau, Materialwissenschaften
und Geodäsie haben das Wegweiser-System in einem vierwöchigen Workshop geplant.
Am Donnerstag zogen sie mit Markierungsfarbe und Linienwagen über das Hochschulgelände
und klebten riesige Buchstaben an die Fassaden. Dies sollte Besuchern, die
am Wochende anläßlich des "Jahres der Technik" zu Ausstellungen und Vorträgen
auf den Campus kamen, die Suche erleichtern.
"Die Architektur spricht nicht zu einem", sagt Oliver Langbein, der die Studenten
im Fachbereich Architektur betreut. Das Leitsystem macht dagegen auf Räume
aufmerksam. Aus dem Gras ragen kleine Fähnchen, auf denen Breitengrade eingetragen
sind. Sie verorten präzise den Raum. An einer anderen Stelle führt eine Linie
dagegen geradewegs vor einen Baum. "Wir reagieren auf Dinge, die wir sehen,
setzen das Besondere in Szene", sagt Langbein. Manchmal mit einem Augenzwinkern:
"Architektur muß ja auch Spaß machen."
Der Siebenunddreißigjährige ist Mitglied von Osa, einer Architektengruppe,
die 1996 als Arbeitsgemeinschaft von drei Darmstädter Studenten gegründet
wurde. Inzwischen besteht die AG aus acht Architekten, Städtebauern und Künstlern
- mit Wohnsitzen in Darmstadt, Berlin, London und Wien. Osa gehört zu jener
wachsenden Gruppe junger Architekten, die neue, ungewöhnliche Wege aus der
Baukrise suchen; indem sie Luftballons steigen lassen, auf denen steht: "Architektur
muß knallen", Bungalows auf Hochhäuser setzen oder ein Schwimmbecken mitten
in eine Kokerei. Viele schließen sich zusammen, gründen Aktionsgruppen oder
Gesprächskreise. Denn der Baubranche geht es miserabel. In kleinen Architekturbüros
liegt der Lohn knapp über dem Sozialhilfesatz.
Auch die Osa-Mitglieder leben nicht von der Aktionskunst allein, sondern arbeiten
als Architekten, wissenschaftliche Mitarbeiter, künstlerische Berater oder
Filmproduzenten. "Gebaut ist fast alles", sagt Langbein. "Es geht darum, das
Vorhandene zu nutzen - temporär, mit geringen Mitteln, aber großer Wirkung."
Langbein sieht die Krise auch als Chance: "Architekten sind Generalisten.
Sie können flexibel auf Nischen reagieren: Städtebau, Web-Design, Fotografie,
Video-Kunst." Etwa die Hälfte der Studienabgänger an der TU Darmstadt finde
in berufsverwandten Nischen einen Job. "Architekten sind Fachleute für Bewegung,
Akustik, Haptik und Farben", meint Osa-Mitglied Anja Ohliger. Im vergangenen
Sommer veranstalteten die Architekten an der TUD zusammen mit dem Musiker
Frank Rückert einen Video-Workshop. Die Studenten schrieben Drehbücher, lernten
die Arbeit mit Videokamera und Schnittprogramm. Die klassische Architektenausbildung
will Osa jedoch nicht in Frage stellen. Aber die Studenten vorbereiten - auf
die Zeit danach.
MICHAEL BRÜGGEMANN