F.A.Z.-Archiv
Die Hochschulseite | Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2004, Nr. 238, S. 46
"Architektur muß Spaß machen"
Workshop an der TU Darmstadt: Studenten entdecken den Raum - und den Humor
 
DARMSTADT. Wenn ein Ortsfremder auf dem Campus der TU Darmstadt nach dem Weg fragt, haben die Studenten ihren Spaß: "Hier entlang, da lang oder nach dort", antworten sie. Und zeigen auf drei knallrote Pfeile auf dem Betonsteinpflaster. Die Linien wandern über den Gehsteig, schlängeln sich einen Pfad die Wiese hinauf. "Da" steht in zwei Meter hohen Lettern auf der Betonfassade des Fachbereichs Maschinenbau. Angekommen.
Etwa 20 Studenten der Fachbereiche Architektur, Maschinenbau, Materialwissenschaften und Geodäsie haben das Wegweiser-System in einem vierwöchigen Workshop geplant. Am Donnerstag zogen sie mit Markierungsfarbe und Linienwagen über das Hochschulgelände und klebten riesige Buchstaben an die Fassaden. Dies sollte Besuchern, die am Wochende anläßlich des "Jahres der Technik" zu Ausstellungen und Vorträgen auf den Campus kamen, die Suche erleichtern.
"Die Architektur spricht nicht zu einem", sagt Oliver Langbein, der die Studenten im Fachbereich Architektur betreut. Das Leitsystem macht dagegen auf Räume aufmerksam. Aus dem Gras ragen kleine Fähnchen, auf denen Breitengrade eingetragen sind. Sie verorten präzise den Raum. An einer anderen Stelle führt eine Linie dagegen geradewegs vor einen Baum. "Wir reagieren auf Dinge, die wir sehen, setzen das Besondere in Szene", sagt Langbein. Manchmal mit einem Augenzwinkern: "Architektur muß ja auch Spaß machen."
Der Siebenunddreißigjährige ist Mitglied von Osa, einer Architektengruppe, die 1996 als Arbeitsgemeinschaft von drei Darmstädter Studenten gegründet wurde. Inzwischen besteht die AG aus acht Architekten, Städtebauern und Künstlern - mit Wohnsitzen in Darmstadt, Berlin, London und Wien. Osa gehört zu jener wachsenden Gruppe junger Architekten, die neue, ungewöhnliche Wege aus der Baukrise suchen; indem sie Luftballons steigen lassen, auf denen steht: "Architektur muß knallen", Bungalows auf Hochhäuser setzen oder ein Schwimmbecken mitten in eine Kokerei. Viele schließen sich zusammen, gründen Aktionsgruppen oder Gesprächskreise. Denn der Baubranche geht es miserabel. In kleinen Architekturbüros liegt der Lohn knapp über dem Sozialhilfesatz.
Auch die Osa-Mitglieder leben nicht von der Aktionskunst allein, sondern arbeiten als Architekten, wissenschaftliche Mitarbeiter, künstlerische Berater oder Filmproduzenten. "Gebaut ist fast alles", sagt Langbein. "Es geht darum, das Vorhandene zu nutzen - temporär, mit geringen Mitteln, aber großer Wirkung." Langbein sieht die Krise auch als Chance: "Architekten sind Generalisten. Sie können flexibel auf Nischen reagieren: Städtebau, Web-Design, Fotografie, Video-Kunst." Etwa die Hälfte der Studienabgänger an der TU Darmstadt finde in berufsverwandten Nischen einen Job. "Architekten sind Fachleute für Bewegung, Akustik, Haptik und Farben", meint Osa-Mitglied Anja Ohliger. Im vergangenen Sommer veranstalteten die Architekten an der TUD zusammen mit dem Musiker Frank Rückert einen Video-Workshop. Die Studenten schrieben Drehbücher, lernten die Arbeit mit Videokamera und Schnittprogramm. Die klassische Architektenausbildung will Osa jedoch nicht in Frage stellen. Aber die Studenten vorbereiten - auf die Zeit danach.

MICHAEL BRÜGGEMANN
"Hier entlang": Ein Leitsystem führte Besucher am Wochenende über den Campus der TU Darmstadt. Studenten zogen mit Markierungsfarbe über das Hochschulgelände und klebten riesige Buchstaben an die Fassaden: Aktionskunst als Lehrmethode.

Foto Rainer Wohlfahrt
www.faz-archiv.de
powered by GBI the contentmachine