BAUWELT, 1.2.2004



Nürnberg
Arch+ Konferenz “Off-Architektur"
Die Nürnberger Akademie der Künste, Ende November von Arch+ als Tagungsort gewählt, bot den Teilnehmern einen Ort idyllischer Konzentration, der im Lauf von zwei Tagen auch ungemütliche Ausgesetztheit spürbar werden ließ. Der Winterkälte halten die 1954 von Sep Ruf gebauten vollverglasten Pavillons nicht wirklich stand. Andererseits vermitteln die dahingefächerten Bauten bis heute jene nervige Neudefinition einer anderen, auf Unmittelbarkeit zielenden Architekturkonzeption, der man inzwischen gern “Eleganz" konzediert, während es damals eher um die Vermeidung heroischer Repräsentation ging. Wie abhängig vom politischen Geschehen der Bau eines derartigen Refugiums damals auch war, zeigt der Umstand, dass die von Ruf vorgesehene Kupferdachdeckung wegen der Koreakrise nicht realisiert werden konnte. Großmachtpolitik damals, Globalisierung und ihre ökonomischen Folgen heute - Nürnberg als passender Ort für eine Debatte junger Architekten, denen nach dem Studium mit brutaler Deutlichkeit gezeigt wird, dass sie keinen Platz erhalten in der offiziellen Architekturproduktion, und denen zur Zeit nur die Chance bleibt, dieses Herausgehalten-Werden aus dem von uniformen Strukturen beherrschten Markt als kulturelles Attribut für ihre eigene Arbeit nutzbar zu machen. Die Veranstalter der Konferenz, Nikolaus Kuhnert und Susanne Schindler, prägten für die Suche nach Standortbestimmung den Titel “Off-Architektur", ein mit altmodischem Underground-Timbre ausgewählter Begriff, der aber den Vorteil bot, äußerstenfalls auch das Nachdenken über den Einfluss heutiger “Koreas" anzuregen. Knapp 20 Gruppen, Netzwerk-Teams und Büros waren aufs Podium geladen, um vorzustellen, was an Formen und Inhalten in den letzten Jahren entstanden ist. In vier Runden ging es um das Arbeiten in Netzwerken, um Crossover-Strategien, um die Definition der Architektur als politisches Projekt und um neue Vermittlungsorte am Beispiel von Architekturgalerien. Die Eröffnungsdebatte bestimmten die Gruppen niko 31, osa, Raumlabor und Team 444 mit der Frage nach der Arbeit in Netzwerken. Sind solche Netzwerke eine vielversprechende Alternative in einer Situation, in der kaum jemand mehr Chancen hat, ein normales Kleinbüro aufzubauen? Sind sie gar ein alternativer Lebensentwurf? Wieviel “Wohlfühlrefugium" kann aber eine Struktur bieten, die häufig ohne physische Präsenz zwischen den Teilnehmern auskommen muss? Die unübersehbaren Vorteile der Netzwerke liegen in der dynamischeren Reaktionweise und einer aktiveren Verteilung von Verantwortlichkeit, die ein Arbeiten an den Problemstellen der Stadt, dort wo herkömmliche Lösungsstrategien versagt haben, oft erst möglich machen. Allzugroße Illusionen über die Netzwerk-Arbeit relativierte Arno Brandlhuber, indem er, eigene Erfahrungen zitierend, anmerkte, wie schnell sich solche offenen Gemeinschaften auflösen und in hierarchisch geführte Büros verwandeln, wenn einmal der große Auftrag kommt. Weniger Schwierigkeiten mit der Frage nach der Repräsentanz eigener Konzepte hatte die nächste Runde, bei der die Gruppen Peanutz, Realities United, Zeitguised und Jan Wurm - alle dem Stichwort Crossover zugeordnet - auf dem Podium saßen. Es dominierte professionelle Nüchternheit, wenn Crossover definiert wurde als ein Kaleidoskop von vernetzten Tätigkeiten, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie alle mit dem Computer ausgeführt werden. Die heftigsten Debatten gab es, als die Gruppen An Architektur, Bel, Freie
Klasse München, Snag und Urban Catalyst das “politische Projekt" diskutierten. Als die Gruppe An Architektur anmerkte, dass sich heute kaum jemand mit Themen beschäftige, die nicht zumindest “gesellschaftlich sexy" seien, dass man zum Beispiel kaum von einer neuen Architektur für Minderheiten sprechen könne, brach der Streit aus. Manche der im Stadtraum platzierten Projekte wurden als Dandyarchitektur disqualifizert. Nur scheinbar ungerecht ging es zu, als der linkische Agitprop-Vorschlag aus Halle, mit selbst gebastelten Laternen zum Protestzug der Architekten auf den Christkindlmarkt zu ziehen, milde Anerkennung fand, dann aber Stephan Lanz - vom Veranstalter als Provokateur engagiert - heftigen Widerspruch erntete, als er das Losungswort einer politischen Architektur nur denen zusprechen wollte, deren Projekte eine entsprechend breite gesellschaftliche Denkgrundlage aufwies. Gegen jede Art von Deutungshoheit gab es allergische Reaktionen, während Mikroprojekte, wenn sie nur witzig präsentiert wurden, Anerkennung fanden. Als die Auseinandersetzung gegen Ende der Veranstaltung bitter zu werden drohte, rief Nikolaus Kuhnert - ein Odysseus, dem die Gefährten während der Reise abtrünnig geworden waren - mit emphatischem Unterton aus: “Das Entscheidende ist doch, dass ihr Euch hier als eine Generation begreifen lernt!" Pause und Schweigen statt einer Antwort. Das Bekenntnis zur Idee des Anderen schien irgendwie versperrt - wer “Wir" sagte, wirkte schutzlos in Nürnberg. Gespannt sind wir jedenfalls, welchen psychologisch-stimulierenden Austragungsort sich die Veranstalter für die Folgekonferenz im Frühjahr ausdenken. KG
4 l Bauwelt 1-2 2004