Nürnberg
Arch+ Konferenz “Off-Architektur"
Die Nürnberger Akademie der Künste, Ende November von Arch+ als Tagungsort
gewählt, bot den Teilnehmern einen Ort idyllischer Konzentration, der im
Lauf von zwei Tagen auch ungemütliche Ausgesetztheit spürbar werden
ließ. Der Winterkälte halten die 1954 von Sep Ruf gebauten vollverglasten
Pavillons nicht wirklich stand. Andererseits vermitteln die dahingefächerten
Bauten bis heute jene nervige Neudefinition einer anderen, auf Unmittelbarkeit
zielenden Architekturkonzeption, der man inzwischen gern “Eleganz"
konzediert, während es damals eher um die Vermeidung heroischer Repräsentation
ging. Wie abhängig vom politischen Geschehen der Bau eines derartigen Refugiums
damals auch war, zeigt der Umstand, dass die von Ruf vorgesehene Kupferdachdeckung
wegen der Koreakrise nicht realisiert werden konnte. Großmachtpolitik
damals, Globalisierung und ihre ökonomischen Folgen heute - Nürnberg
als passender Ort für eine Debatte junger Architekten, denen nach dem Studium
mit brutaler Deutlichkeit gezeigt wird, dass sie keinen Platz erhalten in der
offiziellen Architekturproduktion, und denen zur Zeit nur die Chance bleibt,
dieses Herausgehalten-Werden aus dem von uniformen Strukturen beherrschten Markt
als kulturelles Attribut für ihre eigene Arbeit nutzbar zu machen. Die
Veranstalter der Konferenz, Nikolaus Kuhnert und Susanne Schindler, prägten
für die Suche nach Standortbestimmung den Titel “Off-Architektur",
ein mit altmodischem Underground-Timbre ausgewählter Begriff, der aber
den Vorteil bot, äußerstenfalls auch das Nachdenken über den
Einfluss heutiger “Koreas" anzuregen. Knapp 20 Gruppen, Netzwerk-Teams
und Büros waren aufs Podium geladen, um vorzustellen, was an Formen und
Inhalten in den letzten Jahren entstanden ist. In vier Runden ging es um das
Arbeiten in Netzwerken, um Crossover-Strategien, um die Definition der Architektur
als politisches Projekt und um neue Vermittlungsorte am Beispiel von Architekturgalerien.
Die Eröffnungsdebatte bestimmten die Gruppen niko 31, osa,
Raumlabor und Team 444 mit der Frage nach der Arbeit in Netzwerken. Sind solche
Netzwerke eine vielversprechende Alternative in einer Situation, in der kaum
jemand mehr Chancen hat, ein normales Kleinbüro aufzubauen? Sind sie gar
ein alternativer Lebensentwurf? Wieviel “Wohlfühlrefugium" kann
aber eine Struktur bieten, die häufig ohne physische Präsenz zwischen
den Teilnehmern auskommen muss? Die unübersehbaren Vorteile der Netzwerke
liegen in der dynamischeren Reaktionweise und einer aktiveren Verteilung von
Verantwortlichkeit, die ein Arbeiten an den Problemstellen der Stadt, dort wo
herkömmliche Lösungsstrategien versagt haben, oft erst möglich
machen. Allzugroße Illusionen über die Netzwerk-Arbeit relativierte
Arno Brandlhuber, indem er, eigene Erfahrungen zitierend, anmerkte, wie schnell
sich solche offenen Gemeinschaften auflösen und in hierarchisch geführte
Büros verwandeln, wenn einmal der große Auftrag kommt. Weniger Schwierigkeiten
mit der Frage nach der Repräsentanz eigener Konzepte hatte die nächste
Runde, bei der die Gruppen Peanutz, Realities United, Zeitguised und Jan Wurm
- alle dem Stichwort Crossover zugeordnet - auf dem Podium saßen. Es dominierte
professionelle Nüchternheit, wenn Crossover definiert wurde als ein Kaleidoskop
von vernetzten Tätigkeiten, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie
alle mit dem Computer ausgeführt werden. Die heftigsten Debatten gab es,
als die Gruppen An Architektur, Bel, Freie
Klasse München, Snag und Urban Catalyst das “politische Projekt"
diskutierten. Als die Gruppe An Architektur anmerkte, dass sich heute kaum jemand
mit Themen beschäftige, die nicht zumindest “gesellschaftlich sexy"
seien, dass man zum Beispiel kaum von einer neuen Architektur für Minderheiten
sprechen könne, brach der Streit aus. Manche der im Stadtraum platzierten
Projekte wurden als Dandyarchitektur disqualifizert. Nur scheinbar ungerecht
ging es zu, als der linkische Agitprop-Vorschlag aus Halle, mit selbst gebastelten
Laternen zum Protestzug der Architekten auf den Christkindlmarkt zu ziehen,
milde Anerkennung fand, dann aber Stephan Lanz - vom Veranstalter als Provokateur
engagiert - heftigen Widerspruch erntete, als er das Losungswort einer politischen
Architektur nur denen zusprechen wollte, deren Projekte eine entsprechend breite
gesellschaftliche Denkgrundlage aufwies. Gegen jede Art von Deutungshoheit gab
es allergische Reaktionen, während Mikroprojekte, wenn sie nur witzig präsentiert
wurden, Anerkennung fanden. Als die Auseinandersetzung gegen Ende der Veranstaltung
bitter zu werden drohte, rief Nikolaus Kuhnert - ein Odysseus, dem die Gefährten
während der Reise abtrünnig geworden waren - mit emphatischem Unterton
aus: “Das Entscheidende ist doch, dass ihr Euch hier als eine Generation
begreifen lernt!" Pause und Schweigen statt einer Antwort. Das Bekenntnis
zur Idee des Anderen schien irgendwie versperrt - wer “Wir" sagte,
wirkte schutzlos in Nürnberg. Gespannt sind wir jedenfalls, welchen psychologisch-stimulierenden
Austragungsort sich die Veranstalter für die Folgekonferenz im Frühjahr
ausdenken. KG
4 l Bauwelt 1-2 2004