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Offene Herzen

Auf Einladung von bb22 und auf Initiative von liga6000 trafen sich Architekten und andere Stadtbewohner zum ersten "Stadtsalon". Die Themen: Dietzenbach, 3ZKB, Wesersteig

Das "Herz der Stadt" pocht für jeden woanders: in der Lieblingskneipe ums Eck, an der Konstablerwache, im Bahnhofsviertel, auf dem Römerberg. Dorthin - genauer: in das Café im Kunstverein - hat die Bürogemeinschaft bb22 am 25. November zum ersten Frankfurter "Stadtsalon" geladen. Zielgruppe: Architekten und alle, die sich für das Leben in ihrer Stadt interessieren. Der "Stadtsalon" wurde von bb22 auf Anregung des Magazins liga6000 ins Leben gerufen. Anlass zu dieser Initiative war der Wunsch, die Debatte über Stadtplanung und Hochbau im Rhein-Main-Gebiet aus Ämtern und Fachgremien heraus zu holen, eigene Ideen sowie umgesetzte Projekte an eine breite Öffentlichkeit zu bringen und durch Gespräche mit Gleichgesinnten und Fachfremden Erkenntnisse und Ideen zu gewinnen.

Gut 50 Gäste waren der Einladung gefolgt, drei Architekten(-gruppen) stellten in Vorträgen und Videoprojektionen ihre Eingriffe am offenen Herzen dreier Städte im Rhein-Main-Gebiet vor: Große Interventionen im städtischen Raum wie das Projekt "Definitiv unvollendet" in Dietzenbach, kleinere wie "3ZKB" in einer Darmstädter Unterführung und der "Wesersteig" im Frankfurter Bahnhofsviertel. "Ganz unterschiedliche Orte, die mich als Architekten berühren und herausfordern", wie Achim Bilger von bb22 sagte.

Den Anfang machte Martin Wilhelm mit der Vorstellung des Projektes in Dietzenbach, in dessen Mittelpunkt eine Wiederbelebung und Neunutzung städtischer Brachflächen stand. Die Bürger waren aufgefordert sich zu beteiligen - und tatsächlich schaffte es die interdisziplinäre Projektgruppe aus Vertretern von Stadt, Planungsbüros und Universitäten, die Einwohner zu mobilisieren und ein zu beziehen. Die Architekten bohrten 2500 Stelen in eine große Brachfläche mitten in der Stadt - auf dass die Menschen die Stelen aus dem Boden ziehen und ihre "Claims" abstecken. Spielplatz, Kleingärten, Hühnerhof, Kunstinstallationen: 300 Wünsche trugen die Dietzenbacher an die Projektgruppe heran. Die Parzellen wurden zwar nur für ein Jahr zur Nutzung vergeben. "Aber die Einwohner zeigten endlich Interesse an ihrer Stadt, Verwaltung und Politik haben für ihre Beratungen über Potenziale und Zukunft der Stadt nun ein paar Vorschläge", sagte Wilhelm, der die Fachgruppe Stadt der TU Darmstadt in dem Projekt vertreten hatte.

Vergänglich war auch das Projekt "3 ZKB" von OSA (Office for Subversive Architecture): Sie verwandelten die dunkle, dreckige Fußgängerunterführung an der Hügelstraße in Darmstadt für zehn Wochen in eine gemütliche Wohnung. Die Architekten entfernten die Tags und Farbschichten von den Scheiben der Schaukästen, in denen eigentlich Geschäfte ihre Waren ausstellen. Die nun wieder sichtbaren Kästen wandelten sie in Zimmer um: Der Schlafraum mit Matratzen an Boden und Wänden; das Arbeitszimmer mit einem Laptop, verkörpert von einer aufgeklappten Pralinenschachtel; das Bad mit einem Nudelsieb als Waschbecken und Gartenschlauch als Wasserstrahl und Abflussrohr zugleich. Ästhetische Wohnfläche als Kontrast zur einer Unterführung, die Passanten bislang nur möglichst schnell durchqueren wollten. An besonderen Tagen standen auch vor den Schaukästen Möbel: Dann lud OSA zu Grillfest, Videoabend oder Kaffeekränzchen - und die Unterführung roch für eine Weile nach Waffeln oder Würstchen statt nach Urin.

Eine für den Ort im Frankfurter Bahnhofsviertel ungewöhnliche Klientel zog auch der "Wesersteig" an, den die acht Architekten, Ökonomen, Medien- und Veranstaltungsmacher von bb 22 im Juli 2003 aufbauten. Das orangefarbene Podest, 10 mal 10 Meter groß, ragte über das Grundstück des Diakoniezentrums in der Weserstraße hinaus und hob den trennenden Zaun zum Gehsteig an. Das "Fünftagecafé" auf dem "Wesersteig" sollte Passanten und Bewohner, Pendler und Geschäftsleute anlocken - mit Filmen, Musik, Lesungen und Selbstgekochtem von Menschen, die alle mit dem Bahnhofsviertel oder dem Diakoniezentrum zu tun haben. "Den Begriff Steig haben wir nicht zufällig gewählt. Wir wollten mit dem Podest nicht jemanden oder etwas erhöhen, sondern Verbindungen zwischen drinnen und draußen, zwischen den unterschiedlichen Menschen schaffen", erläuterte Gunter Schlief von bb22.

Auf wen zielten diese Projekte? Haben die Menschen die Ideen der Architekten angenommen? War der Arbeitsansatz richtig? Diese Fragen zogen sich wie ein roter Faden durch die Einzeldiskussionen nach Vorstellung der Projekte. Während zu Dietzenbach niemand Fragen stellen mochte - entweder, weil der geschlossene Vortrag keine offen ließ oder weil die Fülle an Informationen die Zuhörer geplättet hatte - schieden sich an "3 ZKB" die Geister. Kam aus einer Ecke die rührende Frage, warum OSA die Schaukästen nicht ganz den Obdachlosen zur Verfügung gestellt und ihnen vom Projektgeld Schlafsäcke gekauft habe, beharrte ein anderer: "Das ist toll, was die gemacht haben. Toll, toll, toll! Die machen wenigstens was!" Einige der Salonbesucher sahen dagegen vor allem die Verfremdung der Objekte (Laptop, Waschbecken etc.) kritisch: Ob die denn nötig gewesen sei? Ob dies nicht eine zu ästhetisierte Form sei, einen solchen Ort zu bespielen? Und ob man davon ausgehen könne, dass alle Passanten diese Symbolsprache verstehen? "Ja", meinte Anja Ohliger von OSA: "Soviel Fähigkeit zu Abstraktion trauen wir jedem zu." "Trotzdem", setzte ein Gast dagegen: "Architekten darf es nicht um die eigene intellektuelle Befriedigung gehen. Sie sollten sich mit ihren individuellen Entwürfen zurück halten und statt dessen Prozesse in Gang setzen."

Nur konsequent war da die Anregung eines Teilnehmers, den Salon so weit wie möglich zu öffnen: "Ich will hier auch die Sozialarbeiter sehen, mit denen Ihr zusammen gearbeitet habt." Und all die Künstler, Geschäftsleute, Soziologen, Gastronomen, Musiker, Medienleute und Politiker natürlich, die das Bild dieser Stadt prägen (oder prägen wollen). So dass aus dem Stadtsalon ein feste Termin wird, der alle acht Wochen die Möglichkeit bietet, architektonische Projekte auf alle möglichen Arten zu präsentieren Sichtweisen auf die Stadt und das städtische Leben interdisziplinär auszutauschen und Neues anzustoßen.

Der Termin für den nächsten Stadtsalon steht noch nicht fest. liga6000 wird ihn rechtzeitig bekannt geben.

Eva Keller (eva-keller@web.de)