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Architektur

Spaß am Bau

Arbeitslose Architekten entdecken den Humor. Sie üben Aktionskunst in der Krise

Von Hanno Rauterberg

Gern legen sie sich Tarnnamen zu, nennen sich Spine2, Snag, Sinus 3, Osa oder raumlabor, ganz so, als sollte man sie eher für Computerbastler halten als für Architekten. Als sei es ihnen peinlich, zu jener schwarz gewandeten Bauzunft zu gehören, die immer noch darauf pocht, unsere Welt neu erfinden und den Menschen zum Schönen und Guten erziehen zu können. Mit jenen alten Herren, mit den einsamen, unverstandenen Genies, möchten die meisten jüngeren Architekten nichts zu tun haben. Stargehabe und Aufklärungsgewese, großer Ruhm und schwerer Ernst, das ist ihnen suspekt.

Sie nehmen es lieber leicht und tun, was Architekten eigentlich nicht tun: Sie schmunzeln über sich selbst. Sie lassen Luftballons steigen, auf denen steht „Architektur muss knallen!“. Sie stellen mitten im Wohnquartier ein paar Container ab und rüsten sie für einen Sommer zur Badeanstalt um. Oder bauen ein Stadtmodell aus Kuchen, das peu à peu von den Bürgern vereinnahmt und verdaut werden darf. Manche gründen eine Bar, andere eine Buchhandlung, dritte eine Galerie, und alle verbindet die Hoffnung, endlich die Kluft zwischen Architekten und dem Rest der Welt zu überwinden. Sie wollen es nicht länger hinnehmen, dass Architektur nur etwas für Hochglanzmagazine ist. Deshalb der Aktionismus und die neuen Formen der Vermittlung, deshalb auch der Abschied vom alten Rollenklischee. Statt sich als Überväter der Gesellschaft aufzuspielen, schließen sich die Jüngeren zu temporären Aktionsgruppen und Gesprächskreisen zusammen, in denen der Name des Einzelnen nur wenig zählt. In Hamburg gründeten sich kürzlich die AA – AnonymenArchitekten.

Ganz freiwillig ist die neue Bescheidenheit allerdings nicht. Vielen, die heute ihr Diplom machen, bleibt gar nichts anderes übrig, als nach dem Ungewöhnlichen und Ungeplanten zu fahnden. Der Baubranche geht es miserabel, und in kleinen Architektenbüros liegt der Verdienst oft knapp über dem Sozialhilfesatz. Wer nach dem Studium nicht gleich aufgibt, wird zwangsläufig Lückensucher und Ersatzhandelnder. „Viele der Jungen sind gescheitert, bevor sie überhaupt angefangen haben“, sagt Philipp Oswalt. „Sie werden Taxifahrer, oder sie begreifen das Scheitern als ihre Chance.“

Auch Oswalt wurde Architekt, als niemand mehr Architekten brauchte. In Berlin, wo er studiert hatte, war der Bauboom an ihm vorbeigerauscht. Und so begann er nicht mit Planen und Entwerfen, sondern mit dem, was schon da war: mit den Brachen, den vielen verlassenen Wohnungen und Fabriken. Wie nur, so überlegte er, lässt sich dies Alte neu beleben? Wie kann man die Stadt re-urbanisieren? Er gründete mit ein paar Freunden die Urban Catalysts, beantragte bei der EU ein Forschungsprojekt und legte – viele Dutzend Formulare später – damit los, Berlin und seine Fehl-, Rest- und Freistellen zu untersuchen.

„Viele Architekten haben sich ja aufs Warten verlegt“, sagt Oswalt. „Sie warten, dass ein Auftrag kommt, sie warten, dass sich ein Bauherr meldet.“ Doch gerade in verwaisten Stadtgebieten gibt es niemanden, der Aufträge vergeben könnte. Die Behörden schauen weg, die Immobilienhändler sind nicht interessiert, und die wenigen Bewohner, die dort leben, oft Künstler, Start-up-Firmen oder Autohändler, haben nicht genug Geld, um ernst genommen zu werden. „In der Stadtentwicklung zählen nur die Wohlhabenden. Das wollten wir ändern.“

Also sprachen sie mit den Maklern und mit der Verwaltung, sie ermutigten Leute, die wenig Geld, aber viele Ideen hatten – und tatsächlich begann es den Verantwortlichen zu dämmern, dass Zwischennutzung eine Alternative zum Leerstand sein kann. Der Vandalismus nimmt ab, das Quartier belebt sich. „Da muss auch der Architekt umdenken“, sagt Oswalt. „Er baut nicht Räume für eine Nutzung, sondern sucht Nutzer für Räume.“

Symbolische Entgiftungen

Lange dauerte es nicht, bis auch der größte Leerraum der Hauptstadt ins Blickfeld der Urban Catalysts geriet, der Palast der Republik. Nicht aus Nostalgie, nicht aus Bekehrungsdrang, einfach nur, weil sie die Mitte Berlins beleben wollten, nahmen sie sich des gewaltigen DDR-Baus an – auch hier nicht als Handelnde, sondern als Agenten und Vermittler. Rasch fanden sie potenzielle Nutzer, vor allem Theater-, Opern- und Kunstleute, die gern in die weiten Räume gezogen wären. Und bald schon organisierten sie Führungen durch das asbestbereinigte, ausgeschabte Gebäude, riesig war die Neugier, groß das Medienecho. Doch trotz alledem und entgegen allen Empfehlungen der Schlossplatzkommission entschied sich der Bundestag vor ein paar Wochen für raschen Abriss.

„Ein wenig verzweifelt waren wir schon“, sagt Oswalt. „Den Entschluss versteht niemand.“ Doch bald fingen sie erneut an zu recherchieren und zu aktivieren und legten schließlich ein Tausendtageprogramm vor, das mit vielen kleinen und großen Veranstaltungen den Palast vor seinem Ende umdeuten und wohl auch symbolisch entgiften soll. „Wenn wir ihn einfach abreißen, wird er zu einem Haus der Mythen. Deshalb ist es wichtig, dass wir ihn noch einmal öffnen.“ Schon jetzt ist die Unterstützung erstaunlich groß: Volker Schlöndorff, William Forsythe, David Bowie, sie alle wollen die ungewöhnlichen Räume nutzen, um Berlin, zumindest auf kurze Frist, ein neues Zentrum zu geben. Und alle Kosten sollen durch Sponsoren getragen werden. „Hier zeigt sich die Bürgergesellschaft, von der so viele träumen“, sagt Oswalt. Ob sich Stadt und Bund dieser Gesellschaft öffnen, ist indes noch unklar. Es wird auch eine Entscheidung für oder gegen ein neues Selbstverständnis der Architekten sein.

Allerdings darf man nicht verschweigen, dass nur wenige der jungen Kollektive so politisch und hochzielend agieren wie die Urban Catalysts. Für viele sind ihre Aktionen mehr ein Zeitvertreib oder eine andere Form von Eigenwerbung, und es ist absehbar, dass sie, sobald die Konjunktur anspringt, den gleichen Weg gehen werden wie einst die wilden Sechziger-Jahre-Architekten, die sich ähnlich wie die Jungen heute für Öffnung und Aufbruch eingesetzt hatten. Bald legte sich ihr Sturm, und aus Radikalen wie Koolhaas oder Ungers wurden Stars. Viele, die damals von einer leichten und beweglichen, alle Konventionen sprengenden Architektur träumten, sind heute längst versteinert und entwerfen Entsprechendes.

Den Jungen von heute könnte das auch passieren, zumal sie an nichts glauben, als an sich selbst. Vor ein paar Wochen erst trafen sich viele von ihnen zu einer Konferenz, organisiert von der Zeitschrift Arch+, die kürzlich ein bemerkenswertes Doppelheft über die „Off-Architektur“ herausgebracht hatte. Und ähnlich wie in den Essays, stellte sich auch in vielen Tagungsbeiträgen heraus, dass kein Traum, kein Manifest und keine historische Kenntnis die jungen Architekten antreibt. Es ist eine Bewegung, die nur eines will: Bewegung.

Doch das kann schon viel sein, zumal im Osten Deutschlands, in Städten wie Leipzig, die immer mehr Bewegliche verlieren. „Jeder merkt ja, dass wir leer laufen“, sagt Stefan Rettich. „Da mussten wir uns einfach ins kalte Wasser werfen.“

Streetworker des Urbanismus

Gemeinsam mit anderen Architektenbüros gründete er in Leipzig die Gruppe L21, und gemeinsam begannen sie, das gern Verdrängte zu diskutieren. Nicht Antwortgeber wollen sie sein, sondern Fragensteller: Was wird, wenn immer mehr Menschen hinausstreben ins Reihenhaus? Was gibt es für Alternativen? Wie sieht eigentlich die Stadt aus, die uns ein gutes Leben führen lässt? Um das Gespräch darüber anzuregen, begannen sie mit städtischen Verwirr- und Lustspielen. Vor kurzem haben sie zum Beispiel eine Galerie aufgemacht, in einem Laden, der ewig leer gestanden hatte. Zu kaufen gibt es dort zwar nichts, staunen darf man trotzdem: über Kunstwerke, die für gewöhnlich in Wohnzimmern hängen. Das war die Idee von Stefan Rettich und seinen Kollegen: In einem Quartier, in dem immer weniger Menschen wohnen und die Einsamkeit wächst, wollten sie den Austausch der Worte über den Austausch der Werke bestärken. Der Erfolg gibt ihnen Recht: Schon jetzt ist die Begeisterung so groß, dass andere Stadtteile ebenfalls Wohnzimmergalerien eröffnen wollen.

Ist der Architekt von morgen also vor allem Sozialarbeiter, ein urbanistischer Streetworker? „Na ja“, sagt Rettich. „Offen gestanden, bin ich nur bedingt sozial.“ Das Entwerfen, das Ringen um die architektonische Form, will er sich nicht nehmen lassen. Nur Bewusstseins-Ingenieur zu sein, ein Moderator und Anschieber, das wäre ihm zu wenig. Stolz zeigt er ein Bild von dem Turnhallenanbau, den sein Büro vor kurzem planen durfte, einem Betonkörper mit gerundeten Ecken und ein paar launigen Ornamenten. Besonders erfreut waren Lehrer und Schüler nicht gerade über den abweisenden Block. Und gefragt worden waren sie auch nicht, obwohl Rettich & Co ja sonst gern über das Reden reden, übers Zuhören und Aushandeln. Hier, wo es konkret wurde, waren sie echte Architekten: vernarrt in die Form, taub für die Wünsche und Ideen anderer. Ganz junge ganz Alte.

(c) DIE ZEIT 17.12.2003 Nr.52