Was kann man machen - mit einer Architekturausbildung?

Was kann man machen - mit einer Architekturausbildung? Zielt die Frage darauf ab, was der Mensch, der diese Ausbildung erfahren hat nun damit anstellen soll oder was man mit der Ausbildung selbst machen kann um sie zu optimieren, zu reformieren oder sogar zu deformieren, sie zu etwas völlig anderem umzugestalten?
Es geht natürlich um beides, schon weil beides eigentlich untrennbar miteinander verflochten ist. - Und vor allem, geht es ums Machen!
Mit der Frage, was man als Diplomand mit der gerade "abgeschlossenen" Architekturausbildung anfangen kann, hat sich mein (nun leider ehemaliger) Kollege an der Fachgruppe Stadt Martin Wilhelm letztes Jahr im Katalog zur Ausstellung sichten5, in seinem Essay "Gute Aussichten" * sehr trefflich beschäftigt. Er unterteilt dort die Möglichkeiten in 5 eigene Berufsfelder: Architekturfirmen, Stars, Nischen, Entwickler und Akademiker. Diese Einteilung möchte ich nun aus eigener und beobachteter Erfahrung erweitern. Erweitern um das Berufsbild des "flexiblen Generalisten", der zeitlich, räumlich, strategisch, methodisch und konzeptionell flexibel zwischen diesen fünf Feldern springt; mal das eine - mal das andere projektorientiert ausfüllt, zuweilen mehrere Felder oder zumindest Teilaspekte aus mehreren dieser Felder gleichzeitig abdeckt.
Der Strukturwandel im Berufsbild (nicht nur) des Architekten scheint solche Flexibilität mehr und mehr zu erfordern oder zumindest zu fördern. Dabei ist zu beobachten, dass auch die Beschränkung auf das reine Bauwesen mehr und mehr fällt. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man auf die Stimmen hört, die sagen es sei bereits fast alles gebaut, was jemals gebraucht wird. Bestenfalls geht es um Konversion, immer häufiger wird es um Rückbau gehen. (Was eine sehr ernsthafte Gestaltungsaufgabe werden wird, da der Käse zumeist nicht von Außen nach Innen schmilzt, sondern die Löcher größer werden)
Ich werde im folgenden versuchen dieses Berufsbild griffiger zu machen. Dabei werde ich mich ausschließlich auf Beispiele stützen, die in den letzten Jahren aus dem FB 15 der TU Darmstadt hervorgegangen sind. Büros, Gruppen und Netzwerke, die alle noch sehr jung, teilweise noch im Entstehungsprozess sind und diesen - systembedingt - wahrscheinlich niemals abschließen werden. Aufgrund der (natürlich) beschränkten Länge dieses Essays wird es dabei bleiben, die Beispiele kurz anzureißen und die Leser aufzufordern, den angegebenen Links zur weiteren Vertiefung zu folgen.

Beginnen möchte ich mit >netzwerk-architekten< . Schon der Name drückt das Programm aus: Sich Projektweise netzwerkartig zu formieren, mit wechselnden Partnerschaften sich unterschiedlichsten Bau(!)aufgaben zu stellen anstatt sich mit fester Hierarchie und Spezialisierungsbereich auf dem Markt zu positionieren, ist die Strategie des "Büros". Einige der Netzwerker arbeite(te)n außerdem als Wissenschaftliche Mitarbeiter am Fachbereich.

Den klassischen Bereich des Bauens bereits etwas mehr verlassend, erscheint ff-melange als Büro für Architektur, Städtebau und experimentelle Darstellung als reines Zweierteam, das flexibel Partnerschaften eingeht um seine Ziele zu erreichen. ff-melange verwendet seine "experimentellen Darstellungen" dabei nicht zufällig, sondern sehr präzise, seiner Philosophie untergeordnet "exakte Darstellungen ohne formale Vorgaben zu erschaffen". Beide haben Lehraufträge am Fachbereich.

Maila-Push konzentriert sich hingegen auf das virtualisieren von vorhandenen Facilities um diese mit "assoziativen Geschichten" angereichert dem Kunden als Computerspiel zur Verfügung zu stellen und im Internet zu präsentieren. Ihr Netzwerk besteht dabei natürlich nicht nur aus Architekten sondern auch aus Programmieren, Spiele-Entwicklern und IT-Spezialisten.

Oliver Rüsche und Tobias Willers organisieren Events in leerstehender Architektur. Sie bringen den speziellen Charme nicht mehr benötigter Gebäude mit Kunst verschiedenster Gattungen in einem sehr kreativen Rahmen zusammen. Scheinbar ganz nebenbei entsteht ein eine Art Netzwerk-Workshop der beteiligten Künstler während Aufbau und Ausstellung .

Das Meiste kann ich natürlich aus der eigenen Erfahrung und über den Aufbau der eigenen Gruppe sagen: osa - office for subversive architecture ist eine Gruppe, die sich 1996 während eines Städtebauentwurfes bei Prof. Stephan Goerner aus drei Studenten formierte und nach und nach auf nun sieben Mitglieder wuchs. Aus dieser Kerngruppe setzen sich Projektweise Teams zusammen, die dann ihrerseits durch Projektpartner außerhalb des osa-Teams verstärkt werden. Innerhalb dieser heterogenen Projektgruppen vermeiden wir jedwede Hierarchie.
osa initiiert dabei die Projekte selbst oder handelt auf Auftrag. Das Spektrum der Tätigkeiten reicht von Entwurfs-Projekten über kleinere Umbauten, Kunst im öffentlichen Raum, Musikvideos, Hörspiele bis hin zu Events und Installationen. Natürlich ist die Arbeit bei osa für keinen von uns "formatfüllend" (und hier kommt das Modell des flexiblen Generalisten, der zwischen den "fünf Disziplinen nach Martin Wilhelm" springt, wieder ins Spiel). Zwei von uns arbeiten als Wissenschaftliche Mitarbeiter am Fachbereich. Zwei weitere arbeiten derzeit bei Norman Foster in London, einer baut in Wien, einer macht Filme in Berlin und eine beschäftigt sich mit Marktforschung und steht gerade kurz vor dem Diplom. Zudem machen wir in wechselnden Besetzungen Projektrealisierungen und Beratung bei Wettbewerben für freie Künstler wie bspw. Ottmar Hörl und Nan Hoover.

Was ist das für eine "Melange" an Tätigkeiten, die von all diese Menschen in den hier nur beispielhaft aufgeführten Büros, Netzwerken und Gruppen verrichtet wird? Ist sie denn "nur" eine Interimstätigkeit, bis alle endlich ihren Platz im Bauwesen gefunden haben? Oder ist sie nicht eher Ausdruck einer langen Tradition von interdisziplinärer Geisteshaltung im Berufsbild des Architekten, speziell im sogenannten "Darmstädter Modell"? Früher waren es eben andere Berufsfelder, die neben dem des Architekten aus der Ausbildung am FB 15 hervorgingen: Bühnenbildner, Journalisten, freie Künstler und so weiter. Vielleicht sind ja nur einige Felder hinzugekommen. Mir scheint es, dass sich vor allem die Gewichtung verschoben hat. Der Anteil derer, die nach dem Architekturstudium einfach Architekten werden schrumpft. Der Anteil derer, die die hier erworbenen Qualifikationen anderweitig nutzen steigt an.
Die Lehre sollte sich diesen neuen Herausforderungen stellen. Im vergangenen Studienjahr haben Prof. Stephan Goerner, meine Kollegin Susanne Lehmann und ich den Entwurf "Urban Web Tool" herausgegeben. Die Studenten haben sich mit der Gestaltung eines webfähigen Instruments zur interaktiven und vor allem partizipatorischen und demokratischen Erzeugung räumlicher und funktionaler Strukturen beschäftigt.

Das parallel stattfindende Seminar wurde durch fachgebietsübergreifende und interdisziplinäre Gastvorträge bereichert: Christian Mommertz - creative director bei der Werbeagentur Jung von Matt , Thomas Wenzel und Markus Pretnar -Computerspielentwickler von escape , Martin Wilhelm sprach über "uni21", Fritz Vöpel über Visualisierung. Als Gäste beim Entwurf waren neben Lilian Jüchtern (CAD in der Architektur) zudem die Pioniere internetgestützter Partizipationsmodelle Ulrich Königs aus Köln mit Christoph Heinemann und Christoph Schmidt vom Institut für angewandte Urbanistik - ifau aus Berlin zugegen. Aus einem der Entwürfe, "Die Nachtwiese" * formiert sich zur Zeit ein Forschungsprojekt am Fachgebiet.
Sich in Entwürfen, Stegreifen und Seminaren mit vermeintlichen Randfeldern der Architekturausbildung zu beschäftigen, hat am Fachbereich eine lange Tradition. Entworfen werden beispielsweise Flugzeugcockpits, Weltraumhotels und Visionen für die 10-Tage-Woche. Auch die Gastprofessoren Luc Merx und Marcus Pasing haben in ihrer (viel zu kurzen) Zeit am Fachgebiet das Experimentieren gefördert. Mit welchen Aufgaben man sich nun "heroisch" auf experimentellen Pfaden befindet oder sich womöglich "weltfremd" bereits zu sehr vom stillschweigend vereinbarten Konsens über die Zielsetzungen der Architekturausbildung entfernt hat, wird im Haus immer wieder heftig diskutiert. Leider unter den Studenten offener als unter den Lehrenden.

Seit einiger Zeit bin ich Mitglied im Studienausschuss. Dort haben wir gerade eine weitere Stufe des notwendigerweise permanenten Prozesses der Studienreform erarbeitet, der vorsieht Konstruktion und Technik einen größeren Stellenwert einzuräumen. Ein Widerspruch? Gar eine Abkehr vom Darmstädter Modell? -Ich denke nicht! Wenn es bislang möglich war am Beispiel von Architektur auch universelle Konzeptentwickler zu generieren, wird diese Möglichkeit nicht durch eine Optimierung dieser Ausbildung behindert.

Dennoch möchte ich alle Professoren, Assistenten, Lehrbeauftragten und Studenten am Fachbereich dazu auffordern auch zukünftig ihren Blick eher zu weiten als zu fokussieren und die Chancen, die in der Ausbildung von Generalisten für den fluiden Arbeitsmarkt der Zukunft liegen wahrzunehmen. Wie kann dies geschehen? Die Aufgabe Bachelor- und Masterstudiengänge anzubieten birgt deutlich mehr Chancen, als sie am Fachbereich zur Zeit gesehen werden. Die Frage, ob sich die Architekturausbildung auf das Bauwesen beschränken sollte oder eben nicht, muss keine Richtungsentscheidung mehr sein, da sie durch die Möglichkeit einen Studiengang "Konzeptingenieur-Generalis" anzubieten den bisherigen Diplomstudiengang nicht gefährdet. Die de facto im Fachbereich vermittelten Qualifikationen, welche nichts mit dem Bauwesen zu tun haben, sind durch bloßes Wahrnehmen der Tätigkeitsprofile und der Beschäftigungsrealität unserer ehemaligen Diplomanden deutlich erkennbar. Ihre empirische und qualitative Auswertung könnte als Feedback helfen, die Gestaltung eines solchen Berufsbildes inklusive qualifiziertem Studiengang zu profilieren.

Oliver Langbein, Darmstadt im September 2002


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fg stadt - Zusammenschluss von drei Fachgebieten aus dem Lehrbereich E zu einer Fachgruppe mit 3 Professoren und 6 wissenschaftlichen Mitarbeitern. www.fgstadt.org
"Gute Aussichten" - Essay von Martin Wilhelm, sichten 5, 2002, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen - Berlin, S. 22 f
www.netzwerk-architekten.de
www.ff-melange.de
www.maila-push.com
www.zimmerfrei.org
www.osa-online.net
www.urban-web-tool.de
www.jvm.de
www.escape-germany.de
www.fritzvoepel.de
www.berlin.heimat.de/ifau
nachtwiese von David Berens, Joern Bock, Tobias Mathijjsen, Ralph Söndgen, Bjoern Titz